Autoimmunthyreoiditis und Hypothyreose
Durch Jod ausgelöste Neuerkrankungen in Deutschland

Im Folgenden wird dargelegt, wie aus den Ergebnissen der im Juni 2006 veröffentlichten Studie "Effect of Iodine Intake on Thyroid Diseases in China" [1] auf die Anzahl der Neuerkrankungen an einer Autoimmunthyreoiditis (AIT) in Deutschland geschlossen werden kann. Dabei wird auf Messungen der Jodausscheidung im Urin in Deutschland aus den Jahren 1999 und 2003 zurückgegriffen, wie sie im Artikel "Zur Jodversorgung und Belastung mit strumigen Noxen in Deutschland" [2] veröffentlicht wurden. Die Konsequenzen aus der in Deutschland als sicher erachteten maximalen täglichen Jodzufuhr von 500 µg [3] werden ermittelt. Weiterhin werden die Auswirkungen der Jodzufuhr auf das Auftreten von Schilddrüsenunterfunktionen (subklinische und manifeste Hypothyreose) dargestellt.

 

Inhalt

Ergebnisse

Die chinesische Untersuchung

Jodzufuhr in Deutschland

Umrechnung der Fünfjahresinzidenz

Interpolation der Messwerte

Analyse

Neuerkrankungen an Hypothyreose

Zusammenfassung

Quellen

 

Ergebnisse

(1) Da die chinesischen Messungen in einem Fünfjahresintervall erfolgten, sind diejenigen Fälle einer Autoimmunthyreoiditis, die innerhalb der fünf Jahre aufgetreten und in diesem Zeitraum bereits zum Stillstand gekommen sind, nicht als AIT-Erkrankung berücksichtigt. Diese Fälle werden jedoch als Schilddrüsenunterfunktion erfasst sein.

 

Die chinesische Untersuchung
Ausgangspunkt für die Berechnung sind die Ergebnisse der chinesischen Untersuchung aus 2006
[1]. Dort wird festgestellt, dass eine mehr als ausreichende oder übermäßige Jodzufuhr zu einer Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion UF) und Autoimmunthyreoiditis führen kann. Ermittelt wurde u.a. die Fünfjahresinzidenz (prozentualer Anteil an Neuerkrankungen in 5 Jahren) der Autoimmunthyreoiditis, der manifesten Hypothyreose und der subklinischen Hypothyreose in drei Gebieten mit stark unterschiedlicher Jodzufuhr. Als Maß für die Jodzufuhr (Z) wurde die mediane Jodausscheidung im Urin in den drei Gebieten bestimmt (84, 243 und 651 µg I-/l Urin). Dies entspricht bei einem Umrechnungsfaktor von 2 zu 3 [2] einer mittleren täglichen Jodaufnahme von 126 µg (Gebiet 1), 365 µg (Gebiet 2) und 977 µg (Gebiet 3). Die Fünfjahresinzidenz der Autoimmunthyreoiditis betrug: 0,2% (Gebiet 1), 1,0% (Gebiet 2) und 1,3% (Gebiet 3). Die Kriterien für eine Erkrankung wurden wie folgt festgelegt:

 

Autoimmunthyreoiditis: 

TPO-AK > 100 lU/ml

mit subklinischer oder manifester Schilddrüsenunterfunktion

Subklinische Schilddrüsenunterfunktion

TSH > 4.8 mlU/l FT4 innerhalb der Norm

Manifeste Schilddrüsenunterfunktion:

TSH > 4.8 mlU/l FT4 < 10.3 pmol/l

 

Jodzufuhr in Deutschland
Für die mittlere Jodzufuhr in Deutschland wird im Folgenden von einem Wert von 200 µg/Tag ausgegangen. Für diese Annahme sprechen 2 Erhebungen des Jodstatus [2] aus dem Jahre 1999 an 8- bis 12- jährigen Kindern (Mediane Jodausscheidung 147 µg I
-/l Urin entsprechend einer Jodaufnahme von 221 µg Jod/Tag) und aus dem Jahre 2003 an 18- bis 70- Jährigen (Mediane Jodausscheidung 125 µg I-/l Urin entsprechend einer Jodaufnahme von 189 µg Jod/Tag). Die mittlere Jodaufnahme für 1990 wird nach einer Erhebung von Gutekunst [2] (Mediane Jodausscheidung 68 µg I-/l) mit 100 µg Jod/Tag angesetzt.

 

Umrechnung der Fünfjahresinzidenz
Um zu einer Aussage zu gelangen, wie viele Neuerkrankungen pro Jahr durch eine Jodzufuhr von 200 µg/Tag zu erwarten sind, ist eine Interpolation der chinesischen Messwerte und eine Umrechnung der Fünfjahresinzidenz (F) auf eine Jahresinzidenz sowie auf die Bevölkerungszahl in Deutschland erforderlich. Für die Jahresinzidenz wird ein Fünftel der Fünfjahresinzidenz  angesetzt, für die  Bevölkerungszahl (B) in Deutschland 82.500.000. Für N, die Anzahl der Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland, gilt demnach: N = F / 5 * B.  Eine Übernahme der chin. Messungen ergibt damit:

 

Z (Jodaufnahme pro Tag)   

N (AIT (1) Neuerkrankungen in Deutschland pro Jahr)     

126 µg  

    33.000   

365 µg  

165.000 

975 µg 

 214.000 

 

Interpolation der Messwerte
Für die Interpolation der Messwerte wird eine Spline-Interpolation (kubischer Spline) durchgeführt. Für den Bereich mit einer Jodaufnahme < 126 µg erfolgt eine Extrapolation über eine Grenzwertbetrachtung. Als Randbedingung wird angenommen, dass bei steigender Jodzufuhr die Anzahl der Neuerkrankungen nicht mehr zunimmt, sobald sie einmal abgenommen hat. Beide grenzwertigen Interpolationsverläufe, die dieser Bedingung noch genügen, sind in Abb. 1 dargestellt.

 

AIT1.gif

 

Analyse
Die beiden grenzwertigen Interpolationsverläufe lassen sich wie folgt interpretieren:

Im ersten Grenzfall (Grenzwertverlauf I) führt eine tägliche Jodaufnahme von mehr als 100 µg zu einer Autoimmunthyreoiditis. Die Erkrankung wird ausschließlich durch eine Jodzufuhr von mehr als 100 µg/Tag ausgelöst.

Im zweiten Grenzfall (Grenzwertverlauf  II) erkranken 20.000 Menschen in Deutschland an einer Autoimmunthyreoiditis, ohne dass Jod dafür die Ursache ist. Der Anteil der jodbedingten Erkrankungen hängt von der Jodaufnahme ab, und erreicht z.B. Anteile von 66% bei 200 µg/Tag  oder 90% bei 500 µg/Tag.
  
Neuerkrankungen an Hypothyreose
Die chinesische Studie liefert auch Inzidenzien für die subklinische und manifeste Hypothyreose. Wendet man das oben beschrieben Verfahren analog hierfür an, so ergeben sich folgende Werte aus einem gemittelten Interpolationsverlauf:

 

Jodaufnahme pro Tag

  Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland   

subklinische UF  

manifeste UF 

 AIT

100 µg 

-

20.000  

 12.000

200 µg 

 200.000 

65.000  

  87.000

500 µg  

520.000 

85.000  

202.000

 

Zusammenfassung
Seit Einführung der Jodmangelprophylaxe in Deutschland hat sich die mittlere Jodaufnahme in Deutschland von 100 µg/Tag auf 200 µg/Tag verdoppelt. Geht man von einem gemittelten Interpolationsverlauf der chinesischen Messergebnisse aus, so führte dies zu einem Anstieg der Neuerkrankungen an Autoimmunthyreoiditis, subklinischer Schilddrüsenunterfunktionen und manifester Schilddrüsenunterfunktionen in Deutschland von 32.000 pro Jahr im Jahre 1990 auf heute etwa 350.000 pro Jahr. Die "sichere" Jodzufuhr von 500 µg/Tag würde zu ca. 800.000 Neuerkrankungen pro Jahr mit Unterfunktionssymptomen führen.

 

Quellen
[1]  Effect of Iodine Intake on Thyroid Diseases in China,  Weiping Teng et al.,The New England Journal of Medicine June 29, 2006 Number 26; Zusammenfassung: http://content.nejm.org/cgi/content/german_abstract/354/26/2783
[2]  Zur Jodversorgung und Belastung mit strumigen Noxen in Deutschland, R. Hampel und H. Zöllner, Ernährungs-Umschau 51 (2004), Heft 4, Zusammenfassung: http://www.ernaehrungs-umschau.de/themen/wissenschaft_aktuell/?id=1562
[3]  Arbeitskreis Jodmangel, http://www.jodmangel.de/wissenschaft_und_praxis/risikobewertung.php

 

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